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/ Wort zum Tag

Echte Beziehung

Monika Breuer über Psalm 139,4.

Siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht alles wüsstest.

Psalm 139,4

Ich war ein Teenager, als ich einmal auf die Straßenbahn wartete und neben mir eine blinde Frau stand. Plötzlich kündigte sie an: „Die Bahn kommt.“ Sie suchte ihre Taschen zusammen und ich schaute verblüfft die Straße hinunter: Da war keine Straßenbahn zu sehen. Aber einige Augenblicke später bog die Bahn um die Ecke. Das geschulte Gehör der blinden Frau hatte die kommende Bahn erkannt, noch ehe ich sie hatte sehen können.

Damals bekam ich eine erste Ahnung davon, dass wir uns vielleicht nicht immer nur auf das verlassen sollten, was unsere Augen zu sehen bekommen. Dass es vielleicht noch andere Sinne gibt, mit denen wir auch so etwas wie „sehen“ können.

Der Schriftsteller Antoine de Saint-Exupery formulierte so poetisch wie radikal: „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. Man sieht nur mit dem Herzen gut.“

Und ja, da ist was dran. Wir sehen, welche Haarfarbe der Mensch neben uns hat und wie er angezogen ist. Auch sein Alter können wir anhand seines Erscheinungsbildes abschätzen. Aber welche Angst, Freude, Liebe, Verzagtheit in dem Menschen neben uns steckt, oder welcher Mut, das sehen wir nicht. Wir können es allenfalls durch kleine Äußerlichkeiten erahnen. So richtig erkennen können wir einen anderen Menschen nicht mit den Augen. Wohl aber von Herz zu Herz.

Dass wir das überhaupt ein wenig können, verdanken wir Gott. Er hat uns Menschen nach seinem Bilde geschaffen; und Gott kann das ja geradezu perfekt: in uns hineinschauen. Der ganze Psalm 139 handelt davon, wie sehr Gott uns durch und durch kennt. Sogar unsere Gedanken! David, der Verfasser dieses Liedes, formuliert es im 4. Vers so: „Siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht alles wüsstest.“

Sollte uns das etwa Angst machen? Ich denke, nein. Eher ist es doch wunderbar, dass es jemanden gibt, der uns in- und auswendig kennt wie kein Zweiter. Erst so ist wirkliche Begegnung möglich. Gott erkennt uns, indem er in unser Herz schaut und darin liest wie in einem Buch. Und wir erkennen Gott, indem wir wirklich in einem Buch lesen, in der Bibel. Dort können wir nachlesen, was Gott uns über sich selber preisgegeben hat. Und im Lesen der Bibel und im Gebet können auch wir in ein Herz schauen, in das Vaterherz Gottes.

Das können wir nur, weil Gott in sein Herz schauen lässt. Weil er es geradezu liebt, sich mit uns von Herz zu Herz zu unterhalten.

Das könnte uns doch Vorbild sein für unsere Beziehung zu anderen Menschen. Dort, wo wir uns die Mühe machen, anderen ins Herz zu schauen und wo wir selber unser Herz für andere öffnen, da ist wirkliche Beziehung möglich und wirkliche Begegnung. Erst da ist richtiges Leben möglich. Ich erinnere hier gern an die Worte von Martin Buber: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung. Wenn wir aufhören, uns zu begegnen, ist es, als hörten wir auf zu atmen.“

Wir können uns den ganzen Tag und das ganze Leben mit oberflächlichen Treffen und flachem Austausch beschäftigen oder sogenannte Freunde in den sozialen Medien sammeln. Und wenn es ganz schlimm kommt, können wir das sogar für echte Begegnung halten. Bis ins Tiefste befriedigen wird uns das nicht.

Erst dort wird erfüllende Begegnung und Beziehung möglich, wo wir uns die Zeit nehmen, vorsichtig und sorgsam in das mutig geöffnete Herz eines Gegenübers zu schauen, und wo wir selber mutig sind, unser eigenes Herz zu öffnen. Ja, das erfordert Mut! Und es erfordert Zeit und Geduld. Aber ich denke, es lohnt sich!

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Anstoß

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Kommentare (2)

Silvia B. /

Liebe Frau Breuer,
vielen Dank! Das stimmt, eine sehr gute, tiefgehende Betrachtung...;
Man kann auch verletzt werden, das stimmt (s Komentar von Sabine B.);
Manchmal fliessen Traenen... / dann mehr

Sabine B. /

Das eigene Herz zu öffnen macht uns verletzlich und angreifbar. Das habe ich leider schon mehrfach schmerzlich erfahren dürfen...., selbst bei meinen eigenen Kindern.
Das hat mich sehr vorsichtig mehr