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© Mike Von / unsplash.com

23.04.2021 / Andacht / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Hanna Willhelm

Begegnung mit dem Noonday Devil

Wenn sich in der Seele Verdrossenheit über Gott und das Leben ausbreitet.

Schon als Kind hatte ich ein Gefühl für die Endlichkeit des Lebens. Ich hätte das damals nicht in Worten ausdrücken können, aber ich spürte: Alles Schöne ist bedroht, zerbrechlich. Entweder weil das Böse sich seiner bemächtigt oder weil es irgendwann zu Ende geht. Ich kann das Glück nicht festhalten – dessen war ich mir als kleines Mädchen bewusst.

Ich glaube, diese Ahnung hat mich bereits als Kind empfänglich für Gottes Dasein und die Wirklichkeit der Ewigkeit gemacht. Ich wusste intuitiv: Die Vollkommenheit, nach der ich mich sehne, finde ich nur bei ihm. Merkwürdigerweise hat mir diese Ahnung gleichzeitig die Kraft gegeben, das Leben an sich hoffnungsvoll zu sehen. Ich musste von dieser Welt keine Perfektion erwarten, weil es diese erst und nur in der Ewigkeit geben würde, aber dann in voller Fülle.

Kindliche Sehnsucht nach Ewigkeit

Der christliche Philosoph und Denker C.S. Lewis war sich dessen nicht sofort bewusst. Da in seinem Elternhaus der christliche Glaube – wenn überhaupt - nur eine formale Rolle spielte, brachte er seine Sehnsucht zunächst nicht mit Gott in Verbindung. Erst als Erwachsener entdeckt er die Zusammenhänge und bringt sie schließlich in seinem Buch „Überrascht von Freude“ zu Papier.

Den Beginn seiner Glaubensreise beschreibt er dabei so:

Als ich eines Sommerabends neben einem blühenden Johannisbeerstrauch stand, stieg in mir plötzlich die Erinnerung an jenen zurückliegenden Morgen auf, als mein Bruder seinen Spielzeuggarten mit ins Kinderzimmer brachte. Es ist schwer, Worte zu finden, die stark genug wären, um die Empfindung zu beschreiben, die über mich kam; nahe kommt der Sache vielleicht Milton mit seiner „gewaltigen Seligkeit“ des Paradieses. Natürlich war es ein Gefühl der Sehnsucht; aber Sehnsucht wonach? Es hatte nur einen Augenblick gedauert; doch in einem gewissen Sinn war alles andere, was mir je widerfahren war, im Vergleich dazu belanglos (Zitat in Ausschnitten).

Salomo, ein jüdischer Philosoph, hat diese undefinierte Sehnsucht, die Lewis als Kind erlebt, vor Jahrtausenden bereits so beschrieben: „Gott hat allem auf dieser Welt schon im Voraus seine Zeit bestimmt, er hat sogar die Ewigkeit in die Herzen der Menschen gelegt. Aber sie sind nicht in der Lage, das Ausmaß des Wirkens Gottes zu erkennen; sie durchschauen weder, wo es beginnt, noch, wo es endet“ (Prediger 3,11).

Diese Ewigkeit im Herzen der Menschen – sie ist es, die uns dazu antreibt, uns nicht mit dem Ist-Zustand zufrieden zu geben, sondern nach mehr zu streben. Nach mehr Schönheit, Reinheit, Gerechtigkeit, Freude, Frieden, mehr Sinn – oder was auch immer der einzelne sucht, um diesem göttlichen Fußabdruck in unserer Seele auf die Spur zu kommen.

Noonday Devil – der Dieb, der Verzweiflung bringt

Gleichzeitig ist es dieses Bewusstsein für die Ewigkeit, das uns zur Verzweiflung bringt, wenn wir bemerken, dass wir ihrer nicht habhaft werden können. Anstelle der Sehnsucht tritt dann oft eine Mischung aus Spott, Gleichgültigkeit, Zorn oder Hoffnungslosigkeit. Die englische Sprache kennt einen Namen für diesen Vorgang der Ent-Täuschung. Sie spricht vom Noonday Devil („Mittagsdämon“), angelehnt an Psalm 91,6, wo von der Seuche die Rede ist, die am Mittag Verderben bringt.

Die katholische Theologie drückt den gleichen Tatbestand etwas vornehmer aus und spricht von der Acedia. Sie meint damit eine Art permanente innere Unruhe, einen Überdruss dem Leben, sich selbst, anderen und letztlich auch Gott gegenüber. Das Onlinelexikon Wikipedia beschreibt diesen Zustand auch als „das Laster der geistigen Trägheit, eine Erschlaffung der Seele, die Stagnation aller Dinge, eine Sackgasse in physischer und psychischer Hinsicht, und insbesondere beim Mönch eine widerwillige ‚Verschlossenheit gegenüber Gott, der einen sonst mit Leben erfüllt‘".

Auch bei mir machte sich dieser „Noonday Devil“ irgendwann bemerkbar. Schönheit war für mich kaum noch wahrnehmbar in meiner vom Smartphonekamerablick getakteten Welt. Wahrhaftigkeit war nicht mehr aufspürbar im Wirrwarr und Streit unendlicher Meinungen. Die vielen Hiobsbotschaften aus meinem persönlichen Umfeld oder einem entfernten Winkel der Erde schienen das einzig stetige und unabänderliche zu sein.

Die zuvor weit geöffnete Tür für die Sehnsucht nach Schönem und Gutem in meinem Herzen fiel ins Schloss. Resignation und Gleichgültigkeit häuften sich davor, der Zugang war versperrt. Das Bewusstsein für die Endlichkeit des Lebens brachte mich zu diesem Zeitpunkt meiner Glaubensreise nicht näher hin zu Gott, sondern weit von ihm weg.

Die Sehnsucht als Wegweiser verstehen lernen

Gibt es einen Weg zurück aus dem Zustand der Acedia zu einer lebensbejahenden Haltung trotz der eigenen Endlichkeit und Begrenztheit? Die Wüstenväter nennen Achtsamkeit auf die eigenen Gedanken und Verhaltensweise als einen Ausweg aus den Klauen des Noonday Devils. Einen weiteren habe ich bei C.S. Lewis gefunden. Lewis hat mir geholfen zu verstehen, dass meine leer gewordene Sehnsucht letztlich ein Wegweiser zu Gott ist. Gottes Anweisung „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!“ gilt auch im Blick auf meine Wahrnehmung dieser Welt und meine angenommene Deutungshoheit über sie.

Solange Gott für mich nur Mittel zum Zweck ist, um die Dinge richtig verstehen zu können oder um meine Sehnsucht zu stillen, benutze ich ihn um meiner selbst willen. Meine kindliche Ahnung der Ewigkeit hat mir ohne Frage lange geholfen, mit Gott unterwegs zu sein und mich dem Leben zu stellen. Aber unbewusst habe ich mich mit dieser Sehnsucht zufriedengegeben und nicht Gott selbst gesucht. Der Trost, dass eines Tages alles gut und vollkommen sein würde, hat mehr Raum eingenommen als die Tatsache, dass der lebendige Gott jetzt und hier, in diesem Moment bei mir ist.

Ob Gott es deswegen zugelassen hat, dass meine Sehnsucht überlagert und beinahe zerstört wurde? War das notwendig, weil er mich weg bringen wollte von meiner bloßen Ahnung der Ewigkeit und mich stattdessen zu ihm selbst hinführen wollte? Zu ihm, der selbst der Ewige ist? C. S. Lewis hat mir die Augen dafür geöffnet, dass meine enttäuschte Sehnsucht mich erst dann nicht mehr mutlos oder zynisch machen würde, wenn Gott um seiner selbst willen mein Anker wäre.

In Lewis‘ eigenen Worten hört sich da so an:

Doch was ist, zum Schluss, mit der Freude? Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, das Thema hat für mich fast jedes Interesse verloren, seit ich Christ geworden bin. [Auch wenn] … der alte Stich, die alte Bittersüße, mich seit meiner Bekehrung so oft und so scharf getroffen hat wie eh und je. Doch ich weiß jetzt, dass dieses Erlebnis nie die Bedeutung hatte, die ich ihm einst gab. Es war wertvoll nur als Hinweis auf etwas anderes, Äußeres. Wenn wir uns im Wald verirrt haben, ist der Anblick eines Wegweisers ein großes Ereignis. Doch wenn wir den Weg gefunden haben und alle paar Meilen an Wegweisen vorbeikommen, bleiben wir nicht mehr stehen und schauen (Zitat in Ausschnitten). 

Die Ewigkeit im Herzen der Menschen ist also ein Wegweiser zu Gott hin – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das zu begreifen, fällt nicht leicht. Ich will mich aber einlassen auf diesen Weg mit Gott und zu ihm hin. Kommen Sie mit?

Zum Anhören: Der Sänger und Christ Fernando Ortega hat aus seiner Erfahrung mit dem Noonday Devil ein musikalisches Gebet gemacht (zum englischen Liedtext "Noonday Devil").

 Hanna Willhelm

Hanna Willhelm

  |  Redakteurin

Hanna Willhelm ist Theologin und Redakteurin im Bereich Radio und Online. Sie ist fasziniert von der Tiefe biblischer Texte und ihrer Relevanz für den Alltag. Zusammen mit ihrer Familie lebt die gebürtige Badenerin heute in Wetzlar und hat dabei entdeckt, dass auch Mittelhessen ein schönes Fleckchen Erde ist.

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Kommentare (1)

Gerald Z. /

Würde gern mitkommen auf diesem Weg. Aber wiegeht das???

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