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© Ryan Snaadt / unsplash.com

13.08.2022 / Serviceartikel / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Micaela Kassen

Zwischen Helfen und Selbstaufopferung

5 Tipps zur Selbstfürsorge, wenn ich Hilfe anbiete.

„Hilfsbereitschaft ist eine Tugend, die nicht immer belohnt wird und trotzdem Sinn macht“ (Franz Schmidberger).

Jeder Mensch braucht Menschen, die ihn unterstützen – sei es emotional, finanziell oder praktisch in den alltäglichen Dingen. Hilfeverhalten kann jedoch auch ausarten und dazu führen, dass einer oder beide Beteiligten (der Helfer und der Hilfesuchende) unter dem Hilfeverhalten leiden. Dies passiert zum Beispiel, wenn ich jemandem helfe und mich dabei selbst überfordere oder der Hilfesuchende durch meine Hilfe nicht lernt, selbstständig zu werden.

Was ist Hilfeverhalten?

Als Hilfeverhalten bezeichnet man „alle Verhaltensweisen, die eine Person mit der Absicht ausübt, das Wohlergehen einer anderen (hilfsbedürftigen) Person zu verbessern. Das Verhalten kann dabei auf unterschiedlichen Motiven basieren“.

Hilfeverhalten hat viele Vorteile: Ich pflege meine sozialen Kontakte, kann einen guten Ruf bekommen oder neue Fähigkeiten erlernen, doch Hilfeverhalten kann auch negative Folgen haben. Wenn ich mich nicht abgrenzen kann, kann dies zur psychischen und körperlichen Überforderung führen.
 

Hier kommen 5 Tipps, auf die ich achten kann, wenn ich Hilfe anbiete.

1. Auf sich selbst achten

Wenn ich jemandem helfen will, ist es wichtig, dass ich dabei auch auf mich selbst achte. Während manche Menschen außer sich selbst kaum andere Menschen wahrnehmen, gibt es auch Menschen, die zu viel wahrnehmen. Wenn ich die Erfahrung gemacht habe, dass ich in kurzer Zeit tendenziell so vielen Menschen geholfen habe, dass ich keine Zeit mehr für mich hatte oder mich um meine eigenen Probleme kümmern konnte, sollte ich mich abgrenzen. Wenn ich einen hilfsbereiten ersten Eindruck mache, kann mir dies auch zum Nachteil werden. Das muss ich beachten.

Wenn ich von einer Nachbarin gefragt werde, ob ich ihre Kinder babysitten kann, aber gerne etwas Qualitätszeit mit meinen eigenen Kindern verbringen möchte, nachdem ich sie in einer stressigen Woche kaum gesehen habe, kann ich ihre Anfrage ohne schlechtes Gewissen ablehnen.

2. Das Ausmaß der Hilfsbereitschaft im Blick haben

Die knappste Ressource ist bei den Menschen: Zeit. 30 bis 40 Stunden Arbeit, Studium oder Ausbildung – und dann möchte ich nebenbei auch noch Freunde treffen und meinen Hobbys nachgehen. Wenn ich dazu neige, die Probleme meiner Umwelt schnell wahrzunehmen und darauf zu reagieren, sollte ich das Ausmaß meiner Hilfsbereitschaft bewusst planen. Um dies zu tun, kann es mir helfen, wenn ich darüber nachdenke, wie viel Zeit ich mit wem verbringen möchte. Ich kann mich fragen, wer mir besonders wichtig ist.

Wenn ich den Eindruck habe, dass jemand meine Hilfe übermäßig oft in Anspruch nimmt, darf ich ihr sagen, dass ich nicht immer der erste Ansprechpartner sein möchte. Wenn eine Person dazu neigt, meine Hilfe als selbstverständlich zu sehen, kann ich ihr daher deutlich machen, dass ich nicht jedes Mal für sie springen kann. Vielleicht ist es sogar so, dass manche meiner Freunde viel dringender Hilfe gebrauchen könnten, sich aber gar nicht trauen zu fragen: gut also, hier bewusst Zeit einzuplanen und Hilfe bewusst anbieten.

3. Hilfe zur Selbsthilfe anbieten

Wenn mich eine Person immer wieder um Hilfe bei den gleichen Problemen fragt, ist es nicht immer ratsam, dauerhaft einzuspringen, denn ich mache sie im schlimmsten Fall von mir abhängig. Falle ich plötzlich aus, ist mein Gegenüber noch hilfloser als vorher.  

In solchen Fällen ist es für mein Gegenüber langfristig gesehen hilfreicher, wenn ich ihn ermutige, sich die nötigen Fertigkeiten selbst anzueignen oder langfristige Lösungen für das Problem zu finden. Dies setzt voraus, dass die Person die Aufgabe auch bewältigen könnte. Doch wenn es gelingt, mein Gegenüber zu befähigen, das eigene Leben selbstständiger als vorher zu gestalten, haben alle gewonnen.

Gerade wenn regelmäßig Unterstützung gebraucht wird, kann es für alle Betroffenen langfristig besser sein, Hilfe von auswärts zu finden, z.B. bei Beratungsstellen oder diakonischen Diensten.

4. Langfristig denken

Wenn ich entscheide, jemandem zu helfen, sollte ich mir die Zeit nehmen, über bestimmte Punkte nachzudenken. Ich sollte meine eigenen Motive und Wünsche reflektieren: Helfe ich nur aus einem (möglicherweise ungesunden) Pflichtgefühl oder emotionalen Druck heraus? Oder geht es um ein Thema, dass mir wirklich am Herzen liegt?

Wenn eine Freundin mich fragt, ob ich ihr helfe und es ihr sehr viel bedeutet, hilft mir das, die Freundschaft weiter aufzubauen. Zusätzlich kann ich mich fragen, ob ich dieselbe Entscheidung auch in ein paar Monaten oder Jahren treffen würde. Wenn es sich z.B. um eine Person handelt, die mir wichtig ist oder mir sympathisch ist, tut es mir gut, dieser Person zu helfen. Vielleicht gibt es auch Themen, die mir besonders wichtig sind und die ich aus Überzeugung verfolgen möchte: Es lohnt sich, meine Zeit klug einzuteilen.

5. Die Entscheidung zu einem richtigen Zeitpunkt treffen

Wenn es sich um größere Arbeiten handelt, wie z.B. einen Umzug, und ich meinen eigenen Urlaub noch nicht geplant habe oder ich noch nicht mit meinem Partner gesprochen habe, sollte ich die Antwort nicht sofort geben, sondern erst eine Nacht darüber schlafen. Wenn ich unausgeschlafen bin oder gerade unter Zeitdruck bin, ist es besser, ich lasse mir Zeit, eine Antwort zu geben, bis ich wieder klar denken kann.

Viele Menschen treffen nicht selten spontane Entscheidungen und sagen schnell zu, obwohl sie eigentlich schon überlastet sind. Muss ich dann doch kurzfristig absagen, ist keinem geholfen.

Jesus hat zu dem Thema mal ein spannendes Gleichnis erzählt: Ein Vater bittet seine zwei Söhne, im Weinberg auszuhelfen. Der eine Sohn winkt erst ab, bekommt aber im Nachhinein ein schlechtes Gewissen und springt doch ein. Der andere sagt geflissentlich zu, taucht aber letztendlich zum Arbeitsansatz nicht auf (Matthäus 21,28-31).

Echte Hilfsbereitschaft zeigt sich nicht darin, wie schnell ich „Ja“ sage, sondern ob ich im richtigen Moment anpacke.  

Hilfeverhalten oder Selbstaufopferung: Häufig befindet man sich auf einer Gratwanderung. Die Psychologie hat herausgefunden: Das Bauchgefühl ist dem Verstand häufig überlegen. Wenn ich in kurzer Zeit eine gute Entscheidung treffen muss, ist es daher auch möglich und gut, wenn ich auf mein Bauchgefühl höre.

Wie auch immer ich die Entscheidung treffe: Ich sollte neben dem Hilfesuchenden auch mich selbst im Blick haben und ein gesundes Maß zwischen Helfen und Achtsamkeit mit mir selbst finden.
 

 Micaela Kassen

Micaela Kassen

  |  Freie Mitarbeiterin

Theologin, studiert derzeit Psychologie und ist auf Kinder- und Jugendpsychologie spezialisiert. Sie hat als Lerntherapeutin gearbeitet und ist aktuell als Sozialarbeiterin in einer intensiv-pädagogischen Einrichtung tätig. Redaktionell setzt sie ihre Schwerpunkte auf die psychische Gesundheit und Kindererziehung. 

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Kommentare (1)

Maria S. /

Sehr gut kommentiert, dass wird mir weiter helfen. Gottes Segen.

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